»Das Weh und Wohl unserer sexuellen Gesundheit entscheidet sich nicht zwischen unseren Schenkeln, sondern zwischen unseren Schläfen.«

Sexualpsychologie

Klinische Sexualpsychologie – geschichtlicher Abriss der Entwicklung einer Teildisziplin im multidiziplinären Entstehungsprozess der Sexualwissenschaft.

Aus der Perspektive der Hochschulmedizin, bildete Klinische Psychologie ungefähr seit Mitte des 19. Jh. einen untergeordnetes medizinisches Fach, vergleichbar der Kardiologie, Pulmologie oder Psychiatrie. Da die Psychologie Ende des 19 Jahrhunderts noch nicht eigenständig akademisch bzw. universitär etabliert war, waren die ersten Sexualforscher so gut wie ausschließlich Mediziner, die in den physiologisch-anatomischen Grundlagen der menschlichen Gesundheit ausgebildet waren und – aufgrund ihrer klinischen Begegnung mit der Sexualität ihrer Patienten – ihre Sichtweise um, philosophische, pädagogische, psychologische und soziologische Perspektive erweiterten, wofür sie nahezu sämtlich ins Abseits der etablierten Hochschulmedizin gerieten.

Aufgrund dieser Tatsache, dass die ersten Sexualwissenschaftler so gut wie ausschließlich Mediziner waren, stand am Beginn der Klinischen Sexualwissenschaft auch und vor allem die medizinische Perspektive auf die menschliche Sexualität im Mittelpunkt. Hier ging es vor allem um medizinische Erkrankungen und / oder Fehlbildungen der Geschlechtsorgane, sexuell übertragbare Haut- und Geschlechts-Krankheiten, Hermaphroditismus oder Zwitter, Transvestität und Transsexualität oder auch um Homosexualität als Krankheit sowie sexuelle „Perversionen“.

Spätestens seit Mitte des 20. Jh. wird die Psychologie nicht mehr schöngeistig als „Seelenkunde“ bezeichnet, sondern versteht sich als empirische Sozialwissenschaft und definiert sich deskriptiv als „Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen“ (Dorsch, 1950; Pschyrembel, 1994; Ansgar, 1999). Resultierend daraus versteht sich die Klinische Psychologie als „Wissenschaft von den Störungen des menschlichen Erlebens und Verhaltens“ (Bastine, 1992).

Definitionen der Sexualpsychologie im chronologischen Überblick

Der Begriff Sexualpsychologie wurde 1894 von Havelock Ellis etabliert („Studies in the Psychology of Sex“, 1894; deutsch: „Sexualpsychologische Studien“, 1903). Er definierte Sexualpsychologie darin pragmatisch als „die Psychologie des Sexuellen“, womit für ihn die Gesamtheit der nicht körperlichen Bedingungen und Einflüsse auf das geschlechtliche und sexuelle Leben gemeint waren. 1906 griff Ivan Bloch in seinem Standardwerk „Das Sexualleben unserer Zeit“ den Begriff Sexualpsychologie auf und schuf die erste und bis heute suffiziente Definition als „Selbstständige Disziplin vom Sexuellen, also von den Erscheinungsformen und Wirkungen der Sexualität in körperlicher und geistiger, in individueller und sozialer Beziehung“ (Bloch, 1906).

In Meyers Konversations-Lexikon wird Sexualpsychologie im Jahre 1909 als „Lehre von den Gefühlen und Trieben geschlechtlicher Art“ definiert (Meyers Konversations-Lexikon, 1909). Liepmann (1920) komprimierte die Sexualpsychologie, indem er mit der Bezeichnung Sexualpsyche die individuellen Bedingungen und Eigenschaften einer Person beschrieb, die sie auf der Grundlage ihrer entwicklungsbiologischen Anlagen in ihrem sexuellen Erleben und Verhalten ausmachten.
Rohleder, (1921) definiert Sexualpsychologie in seinem gleichnamigen Band als „Psychologie des menschlichen Geschlechtslebens“ und Marcuse (1926) als „Die beschreibende und vergleichende Psychologie der menschlichen Geschlechtlichkeit“. In der 4. Auflage des „Psychologischen Wörterbuchs“ von Dorsch (1950) wird Sexualpsychologie als „Teilgebiet der Psychologie, das alle mit der Sexualität zusammenhängenden psychischen Vorgänge und Verhaltensweisen in ihrer Verschiedenheit bei Mann und Frau und in ihrer Entwicklung sowie in ihren Erscheinungsformen zu erforschen und zu beschreiben hat“ (Dorsch, 1950). Das „Fachwörterbuch des Bibliographischen Instituts Leipzig“ verzeichnet unter dem Begriff Sexualpsychologie die Definition: „Wissenschaft von der Erforschung des sexuellen Triebe und Empfindungen“ (Klien, 1954). Im „Wörterbuch der Sexualpsychologie“ wird der titelgebende Begriff als „Zweig der Psychologie, der sich mit dem Menschen als geschlechtlichem Wesen befasst“ bestimmt“ (Bastin, 1972).

 

Erst seit Ende des 20. Jahrhunderts wird Sexualpsychologie analog zum Begriff der Allgemeinen und Klinischen Psychologie empirisch-deskriptiv als „Wissenschaft vom sexuellen Erleben und Verhalten“ (Pschyrembel, 2003) und die Klinische Sexualpsychologie konkludent als Wissenschaft von den Störungen des sexuellen Erlebens und Verhaltens“ definiert (Ahlers & Schäfer, 2010).

Der Text ist entnommen aus:

Ahlers Ch. J. & Schäfer G. A. (2023): Klinische Sexualpsychologie – geschichtlicher Abriss der Entwicklung einer Teildisziplin im multidiziplinären Entstehungsprozess der Sexualwissenschaft (in Vorbereitung).

Bei ganzer oder teilweiser Übernahme ist diese Zitation als Herkunftsquelle anzugeben!

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Legende

https://www.sexualpsychologie-berlin.de / Paradigma / 2010

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„Was gut und förderlich ist, wissen und erkennen wir, tun es aber nicht.“ Euripides, Hippolytos, 380f, ~420 v. Chr.

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Prozessmaxime des Corpus Iuris Civilis des römischen Rechts (527–565 n. Ch.).

Übertragen auf wissenschaftliche Forschung bedeutet diese Prozessmaxime des römischen Rechts, dass nur das wahr- und zur Kenntnis genommen wird, was publiziert ist. Nicht publizierte Forschungsergebnisse und Erkenntnisse existieren aus wissenschaftlicher Perspektive nicht. Darum ist die Publikation von Inhalten und Ergebnissen sexualwissenschaftlicher Forschung und Entwicklung integraler Bestandteil der Tätigkeitsfelder des Instituts für Sexualpsychologie.

Legende

Original: „Wir können die Liebe Gottes weder erwerben, noch erwarten –
wir können nur in sie vertrauen“. (Gott kann durch Partner ersetzt werden).

Martin Luther (1520) III „Von der Freiheit eines Christenmenschen“,
2. „Liebe kann nur frei fließen“.

Überlieferungen der Inschriften am Portalfries des Tempels von Delphi (~548 v. Ch.):

Νίψον ἀνομήματα μὴ μόναν ὄψιν / nipson anomēmata mē monan opsin. Deutsch: „Wasch‘ auch deine Seele – wasch‘ nicht nur dein Gesicht!“ Auf Griechisch stellt dieser Sinnspruch zu allem Überfluss auch noch ein Palindrom dar! Das bedeutet, dass der Sinnspruch in Großbuchstaben ΝΙΨΟΝ ΑΝΟΜΗΜΑΤΑ ΜΗ ΜΟΝΑΝ ΟΨΙΝ ebenso von vorne wie von hinten gelesen werden kann und rückwärts wie vorwärts gelesen den selben Sinn ergibt! Der Sinnspruch fand später auf griechischen Taufbecken Verwendung (z.B. am Quellbrunnen im Kloster Preveli und bei Serres) und befindet sich auch am Taufbecken der Hagia Sophia. Die Existenz der Inschriften am Portalfries des Tempels von Delphi ist nicht durch archäologische Funde, sondern aus schriftlichen Überlieferungen gesichert. So lässt z.B. Platon im Phaidros und primär im Symposion den griechischen Philosophen Sokrates über die Bedeutung dieser Inschriften referieren. Darüber hinaus korrespondiert die Überlieferung inhaltlich stark mit der ziemlich gesicherten Schilderung, dass am Eingang des Tempels von Delphi darüber hinaus links und rechts des Portales die vertikalen Inschriften „gnôthi seautón“ (Erkenne dich selbst!) sowie „medèn ágan“ (Alles in Maßen!), angebracht gewesen sein sollen. Alle drei Sinnsprüche charakterisieren die Qualität der Weissagungen der Tempelpriesterin Pythia, nämlich die Auflösung innerer wie äußerer Konflikte und Probleme durch die Auseinandersetzung mit der eigenen Person. Die Erkenntnis der eigenen Innenwelt diente damit als Zugang zur Konfliktlösung und Problembewältigung auch in und mit der Außenwelt. So bilden diese Sinnsprüche aus dem 5. Jahrhundert vor Christus die programmatische und bis heute unverändert gültige Grundlage der Klinischen Psychologie und, in der angewandten Form, der Psychologischen Therapie bzw. Psychotherapie.